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Brazilian Jiu-Jitsu [MMA-Serie]

  • Autorenbild: versus
    versus
  • 11. März 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Juli 2024

Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ) als wahrscheinlich nerdigste Disziplin im MMA, verbindet die zerebrale Tiefe eines Schachspiels mit der intensiven Körperlichkeit des Ringens, was diese Kampfsportart unter ihresgleichen zu einer einzigartig packenden (pun intended) intellektuellen Herausforderung macht. BJJ gilt als einer der Grundpfeiler der MMA und im Gegensatz zu den Aussichten bei den schlagenden Kampfsportarten, wo die evolutionsbedingte Angst, ins Gesicht geschlagen zu werden, viele Menschen vom Training abschreckt, bietet BJJ eine verhältnismäßig niedrige Einstiegshürde. Darüber hinaus ermöglichen die universellen Prinzipien von Schwerkraft und Biomechanik, Menschen aller Körpergrößen und -formen, Nutzen und sogar Vorteile aus ihrer individuellen Statur zu ziehen, was im Standkampf nicht immer der Fall ist.


von versus


BJJ ist eine in Brasilien entwickelte Kampfkunst, ein Kampfsport und ein Selbstverteidigungssystem. Es konzentriert sich in erster Linie auf den Nahkampf am Boden, wobei Verrenkungen, Würgegriffe und Würfe eingesetzt werden. Das Hauptziel des brasilianischen Jiu-Jitsu besteht darin, den Gegner zu überwältigen, ohne Schläge einzusetzen. Der Kampf wird so schnell wie möglich auf das Parterre verlagert weil dort der Vorteil des Gegners bei den anthropometrischen Parametern zunichte gemacht wird. So spielen Gewicht, Größe, Armspannweite und Muskulatur, die im Standkampf von großer Bedeutung sind, auf dem Boden nur eine untergeordnete Rolle.


Geschichte

Midjourney

Die klassischen Nahkampfmethoden des feudalen Japans, die als Jiu-Jitsu bekannt sind, wurden in der Zeit vom 8. bis 19. Jahrhundert entwickelt, in der Kämpfe zwischen Armeen verschiedener Feudalclans, die aus den berühmten Samurai bestanden, üblich waren. Bei bewaffneten Auseinandersetzungen kam es zu Situationen, in denen die Samurai ihre Waffe verloren haben und sich gegen noch bewaffnete Gegner verteidigen mussten. So entstand das Jiu-Jitsu, und da die Samurai auf dem Schlachtfeld Rüstungen aus Metallplatten, Holz und verstärktem Leder trugen, waren Schlag- oder Tritttechniken nicht sehr effektiv. Aus diesem Grund verbreiteten sich die Wurftechniken und Takedowns, um den Gegner zu Boden zu bringen und ihm bereits durch den Sturz Schaden zuzufügen, oder um mit der Anwendung von Techniken mit und ohne Waffen fortzufahren, und ihn so in kürzester Zeit auszuschalten.


Mit dem Aussterben der Samurai-Kriegerkaste während der Öffnung Japans für den Westen, wanderten einige Meister dieser Kampfkunst von Japan auf andere Kontinente aus und verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem Unterrichten von Kampftraditionen und mit von ihnen veranstalteten Werbe-Kämpfen. Einer dieser Kampfkünstler war Mitsuyo Maeda. Er verließ Japan im Jahr 1904 und besuchte mehrere Länder, wo er Unterricht gab und Herausforderungen von verschiedenen Boxern, Savatekämpfern, Ringern und anderen Kampfsportlern annahm, bevor er schließlich 1914 in Brasilien ankam. Dort wohnte er im Haus eines wohlhabenden Brasilianers namens Gastão Gracie, einem Partner des American Circus in Belém, der Maeda bei seinen Vorführungen und Geschäften half. Die Söhne von Gastão Gracie sahen in dieser Zeit eine Vorführung von Maeda und beschlossen ebenjenes Jiu-Jitsu zu lernen. Maeda nahm sie als Schüler auf und bildete sie in dieser Kunst aus.


1925 wurde in Rio de Janeiro die erste Akademie für Gracie Jiu-Jitsu eröffnet. Die Gracie-Brüder entwickelten dafür eine neuartige Geschäftsstrategie. Sie forderten jeden, der die Wirksamkeit des Jiu-Jitsu anzweifelte, zu einem Kampf ohne Regeln, Zeit- oder Gewichtsbegrenzung heraus. Der Erfolg der Wirksamkeit dieses Systems in echten Kämpfen verschaffte ihm Ansehen, und immer mehr Menschen kamen in die Akademie der Gracie-Brüder, um zu trainieren. Diese Serien an Werbekämpfen kulminierte Jahrzehnte Später in der Organisation der ersten Ultimate Fighting Championship im Jahr 1993. Dank dieser Veranstaltung wurde der Welt die Wirksamkeit des Brazilian Jiu-Jitsu vor Augen geführt: Obwohl damals die Chancen für BJJ vermeintlich schlecht gegen die Schlagdisziplinen (Boxen, Kickboxen usw.) standen, gelang es Royce Gracie, alle Kämpfer des Turniers zu besiegen, auch die körperlich stärksten und schwersten. Durch die massenmediale Ausbreitung dieses Events, wurde das BJJ zu einer weltberühmten Sportart, deren Verbreitung seither exponentiell gestiegen ist. Heute wächst die internationale BJJ-Bewegung stetig, sowohl als eigenständige Sportart, als auch als grundlegender Bestandteil des Trainings von MMA-Kämpfern.


Konzepte & Stil

Foto von Timothy Eberly auf Unsplash

Das brasilianische Jiu-Jitsu besteht im Wesentlichen daraus, den Gegner zu Boden zu bringen, um dort einen Grappling-Kampf zu beginnen und ihn mit verschiedenen Techniken zur Aufgabe zu zwingen. So werden die Vorteile, die ein größerer Gegner im Stehen haben kann, wie z. B. eine größere Reichweite und ein höheres Gewicht beim Kampf am Boden weitgehend zunichte gemacht. Die Strategie war für viele Gegner ungewohnt, dann wohingegen es leichter ist, jemanden zu Boden zu bringen, ist es viel schwieriger, einen Gegner zu Zwingen, im Stand zu kämpfen.


Sobald der Gegner am Boden liegt, wird eine Reihe von taktischen Bewegungen mit Hilfe von Schwung- und Gewichtsverlagerungen eingesetzt, um den Gegner in eine für den Kämpfer günstige Position zu bringen. Die Erlangung einer dominanten Position am Boden ist eines der Merkmale des brasilianischen Jiu-Jitsu (Mount, Side Control, Back Mount usw.). Dieses System von Bewegungen, Kontrolle und Kontern kann mit einem kinetischen Schachspiel verglichen werden, wobei eine Submission einem Schachmatt entspricht. Beispiele für vollständig durchgeführte Submissions wären ein ausgekugeltes Gelenk oder Strangulation.


Das BJJ unterscheidet sich also von anderen Kampfsportarten durch seine stärkere Betonung des Bodenkampfes. Andere Kampfkünste und Kampfsportarten basieren im Allgemeinen auf Schlägen, Tritten, Ausweichmanövern und Verteidigung im Stand. Heutzutage ist bekannt, dass MMA-Kämpfer, die nichts über den Bodenkampf wissen, nicht erfolgreich sind, denn wenn sie zu Boden gehen, haben sie einen gewaltigen Nachteil und werden höchstwahrscheinlich besiegt. Dies hat die Kämpfer dazu veranlasst, zumindest einige Zeit damit zu verbringen, den Bodenkampf zu lernen und zu verstehen, basierend auf BJJ, Judo, und/oder Sambo.


BJJ im MMA-Kontext


Foto von Nathan Dumlao auf Unsplash

Wie bereits erwähnt, wurde das brasilianische Jiu-Jitsu Anfang der 1990er Jahre bekannt, als der brasilianische Jiu-Jitsu-Meister Royce Gracie die erste, zweite und vierte Ultimate Fighting Championship (UFC) gewann. Royce kämpfte gegen sehr ernstzunehmende Gegner, die andere Stile wie Boxen, Karate, Judo, Taekwondo und Ringen praktizierten. Besonders beeindruckend waren seine Siege über Kämpfer, die dem Brasilianer an Größe und Gewicht weit überlegen waren. Seitdem ist das BJJ für viele MMA-Kämpfer zu einem festen Grundbaustein ihres Stils geworden und hat sich großen Respekt verschafft. Gegenwärtig erlebt das brasilianische Jiu-Jitsu dank der erwiesenen Wirksamkeit seiner Techniken im sportlichen Kampf eine nie dagewesene Phase der weltweiten Expansion.


Im BJJ wird in der Regel ein Anzug (der sog. "Gi") getragen, der dem des Judo ähnelt, obwohl in der heutigen Zeit auch immer häufiger ohne diesen trainiert und gekämpft wird, was als "No-Gi" bezeichnet wird. So eröffnete Eddy Bravo die Schule 10th Planet, um so viele brasilianische Jiu-Jitsu-Techniken wie möglich im MMA zu implementieren, da er, nachdem er für die UFC gearbeitet hatte, das Gefühl hatte, dass Jiu-Jitsu-Praktizierende nicht so viel gewinnen, wie sie sollten, da viele ihrer Gi-Techniken nicht in MMA-Kämpfen eingesetzt werden können. In Bravos System wird der Gi nicht mehr verwendet. No-Gi-Klassen werden aber auch in allen anderen MMA-Gyms standardmäßig angeboten. (Wobei aufgrund der höheren Reibungskräfte durch den Stoff ein Argument für das MMA-orientierte Strength & Conditioning Training gemacht werden kann.)


Die Trainingseinheit


Das Trainingssystem läuft in den meisten Schule gleich ab: Aufwärmen, Vorführung der Technik des Tages, Positionssparring dieser Technik und freies Grappling (”Rollen”). Während des Erlernens einer neuen Technik wird großer Wert auf die häufige Wiederholung ebenjener gelegt, um so ein Muskelgedächtnis aufzubauen, das es einem ermöglicht im Sparring oder Kampf ganz unbewusst und damit schnell und souverän Griffe, Übergänge und Submissions aneinanderzureihen. Brasilianisches Jiu-Jitsu hat eine weniger formelle Mentalität als zum Beispiel Judo, so ist es z. B. üblich, eine Technikinstruktion zu beobachten, während man auf der Matte liegt, wohingegen Judo traditionell die Beobachtung im Seiza (Sitzen auf den Knien) verlangt.


Foto von Timothy Eberly auf Unsplash

Da der Schwerpunkt des Jiu-Jitsu im Ringen liegt und auf der Anwendung von Submissions ohne den Einsatz von Schlägen, ist es den Schülern möglich, mit voller Geschwindigkeit und Kraft zu trainieren, als ob es sich um eine reale Situation handeln würde, ohne sich gegenseitig zu verletzen. Dies steht im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten, bei denen aufgrund des leichteren Auftretens von Verletzungen durch stumpfere Gewalteinwirkung nicht mit voller Intensität trainiert werden kann. Dies macht einen großen Teil des Spaßfaktors des BJJ-Trainings aus.


Jenseits der Matte


Selbst wenn man keine Ambitionen hat auf die Wettkampfmatten zu treten oder Brazilian Jiu-Jitsu zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen, bietet es als Lebensbaustein und/oder -supplement tiefgreifende Vorteile. Neben der körperlichen Fitness und Beweglichkeit, die es fördert, ist BJJ ein hervorragendes Mittel, um Disziplin und Willenskraft zu entwickeln - Qualitäten, die weit über die Matte hinausgehen. Während man die Herausforderungen und Triumphe der “sanften Kunst” meistert, sickern die gelernten Lektionen in Sachen Selbstbewusstsein und Stressresistenz auf natürliche Weise in alle Facetten des Lebens ein und verbessern Herangehensweisen an persönliche und berufliche Hindernisse gleichermaßen. Beim Brazilian Jiu-Jitsu geht es also nicht nur darum, zu lernen, sich zu verteidigen oder eine Sportart zu beherrschen. Es geht darum, sich auf eine transformative Reise zu begeben, die einen dazu befähigt, ein disziplinierteres, friedlicheres und somit erfüllteres Leben zu führen.



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