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Siddhartha - Hermann Hesse [Buchbesprechung]

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    versus
  • 27. Okt. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Juli 2024

Spirituelle Texte stets scheuend, brachte eine Südostasienreise (Link zum Reisebericht) die nötige Muse auf, endlich mal diesen Weltliteraturklassiker zu lesen, der schon so lange auf unserer Leseliste steht und herauszufinden, was an einer von Hermann Hesses berühmtesten Erzählungen so dran ist.


von versus


Da Siddhartha bekannterweise in der Studentenbewegung der 60er und 70er einen Riesenhype erlebte, waren die Erwartungen an das Buch groß. Millionen Lehrarmts- und Soziologiestunden können schließlich nicht irren. Andererseits fanden die auch Allen Ginsberg gut. Wir werden also sehen müssen.


Der Autor


Die weltweite und kulturübergreifende Bekanntheit des Autors zwingt uns dazu, uns sein Schaffen etwas genauer anzusehen, um demzufolge auch Siddhartha besser einordnen zu können.


Der mit einem alliterierten Namen getaufte Hermann Hesse (1877 - 1962) konnte natürlich nicht anders, als sich seinem Schicksal zu fügen und einer der bedeutendsten Autoren der 20. Jahrhunderts zu werden. Ein wichtiger Ansatz in Hesses Werk ist der Spiritualismus. Indische Weisheitslehren, der Taoismus und die christliche Mystik bildeten seinen Hintergrund. In Hesses Werk finden Begriffe wie Westen und Osten eine Einheit. Die Ursprünge dafür liegen in der Biographie des Schriftstellers selbst, der in einer Familie mit tiefen christlichen Traditionen aufwuchs, die einen Teil der Kultur Indiens in sich aufnahm. In Hesses Bücherregal standen immer Bücher von Nietzsche und Lao Tzu nebeneinander.


Zum Zeitpunkt von Hesses Tod im Jahr 1962 waren seine Werke in den Vereinigten Staaten trotz seines Status als Nobelpreisträger noch relativ unbekannt. Ein in der New York Times veröffentlichtes Memorial ging sogar so weit zu behaupten, dass Hesses Werke für amerikanische Leser weitgehend "unzugänglich" waren. Die Situation änderte sich Mitte der 1960er Jahre, als Hesses Werke in den Vereinigten Staaten zu Bestsellern wurden. Das Wiederaufleben der Popularität von Hesses Werken ist darauf zurückzuführen, dass sie mit einigen der populären Themen der Hippie-Bewegung der 1960er Jahre in Verbindung gebracht werden. Insbesondere das Thema der Suche nach Erleuchtung in Siddhartha fand bei diesen gegenkulturellen Idealen Anklang. Von den Vereinigten Staaten aus verbreitete sich die Hesse-Renaissance in andere Teile der Welt und auch zurück nach Deutschland: Von 1972 bis 1973 wurden im deutschsprachigen Raum mehr als 800.000 Exemplare verkauft. Innerhalb weniger Jahre wurde Hesse zum meistgelesenen und meistübersetzten europäischen Autor des 20. Jahrhunderts. Hesses Beliebtheit bei jungen Lesern ist ein Trend, der bis heute anhält.


Siddharthas Hauptthese argumentiert, dass die spirituelle Erfüllung weder in der Abkehr von den Realitäten der Welt noch in der Lehre Buddhas zu finden ist, sondern in der Erfahrung der Sinne. Die religiösen (Christentum, Buddhismus) und intellektuellen (Nietzsche, Jung) Synkretismen, die hier zum Ausdruck kommen, sind Hesses Glaubensbekenntnis, das auf der Öffnung hin zur Welt und der Entdeckung einer Transzendenz beruht, in der sich Leben und Geist vereinen.


Hesses Siddhartha ist einer der beliebtesten westlichen Romane Indiens. Eine autorisierte Übersetzung von Siddhartha wurde 1990 in der Sprache Malayalam veröffentlicht, mit der Hesses Großvater Hermann Gundert den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Es wurde auch eine Hermann-Hesse-Gesellschaft in Indien gegründet. Ihr Ziel ist es, authentische Übersetzungen von Siddhartha in alle indischen Sprachen anzufertigen. Sie hat bereits Übersetzungen von Siddhartha in Sanskrit, Malaylam und Hindi erstellt.


Inhalt

Die von uns gelesene "Penguin Books"-Ausgabe, aus der "Modern Classics"-Reihe

Siddhartha, der Protagonist des Romans, ist, genau wie Buddha, ein Prinz. Um wahres Wissen zu erlangen, lässt er seinen Palast, seine Jugend und seine Familie zurück und zieht sich in die Wälder zurück, wobei er den langen Widerstand seines Vaters ignoriert. Nachdem er lange Zeit als wandernder Bettler gelebt hat, trifft er den Buddha und sie führen ein langes Gespräch. Der Buddha erklärt ihm die innere Struktur und philosophische Tiefe des Buddhismus. Doch Siddhartha kann Buddhas Lehre nicht akzeptieren. Siddhartha zweifelt nicht an der Wahrheit der Lehre Buddhas, aber Siddhartha glaubt, dass diese Lehre nur für Buddha selbst gültig ist. Man kann nicht allein durch die Lehren ein Buddha (sprich erleuchtet) werden, man muss dieses Ziel sowohl durch eigene Erfahrung als auch durch die Lehren erreichen. Nach langen Meditationsversuchen, müde davon, nicht genau das zu finden, wonach er suchte, wechselt er die Methodik, die ihn zu seinem Ziel bringen wird und lässt sich in einer Stadt nieder und beginnt, Handel zu treiben und sich den weltlichen Dingen hinzugeben. Im Alter lässt er unter dem Druck der Leere in seinem Inneren die Frau, mit der er zusammenlebt, das Kind, von dessen Existenz er noch nichts weiß, und all den Reichtum, den er erworben hat, zurück und kehrt zu einem Leben der Enthaltsamkeit zurück. Er erkennt deutlicher als zuvor die Unwirksamkeit des gelehrten Wissens und die Bedeutung der persönlichen Erfahrung.


Nach dem Tod seiner Kindsmutter, nimmt er seinen Sohn, ebenfalls Siddharta genannt, auf. Er bemüht sich, seinen Sohn, der nur das luxuriöse Leben in der Stadt gewohnt ist, Bescheidenheit und Ruhe zu lehren. Dabei begeht er jedoch denselben Fehler, den er einst Buddha vorwarf: Die Lehre kann nicht dazu dienen, ihn auf den Weg der Erkenntnis zu führen. Der Sohn ist angewidert von der ständigen milden Reaktion seines Vaters auf alle seine Provokationen und läuft von ihm weg zurück in die Stadt, wie einst Siddharta seinen Vater verlassen hat, wodurch das Hauptthema des "Teufelskreises" aufgegriffen wird. Das Finale wollen wir wie immer nicht spoilern.

Meinung


Die Erzählung beginnt stark mit der Besessenheit eines junges Mannes, sein vermeintliches Ziel im Leben (Erleuchtung) mit allen Mitteln und unter allen Entbehrlichkeiten zu verfolgen und bleibt spannend mit der Thematik der Desillusionierung von ebendiesen einst für als absolute Wahrheit wahrgenommenen Idealen. Für viele Leser wird die Entwicklung des vom Glauben abgefallenen Heranwachsenden hin zum realweltlich-akzeptierenden Erwachsenen bereits wahr gewordene Wirklichkeit geworden sein und das Buch bietet bis zur Mitte diesbezüglich eine Identifikationsgrundlage.


"O," dachte er aufatmend mit tiefem Atemzug, "nun will ich mir den Siddhartha nicht mehr entschlüpfen lassen! Nicht mehr will ich mein Denken und mein Leben beginnen mit Atman und mit dem Leid der Welt. Ich will mich nicht mehr töten und zerstücken, um hinter den Trümmern ein Geheimnis zu finden. Nicht Yoga-Veda mehr soll mich lehren, noch Atharva-Veda, noch die Asketen, noch irgendwelche Lehre. Bei mir selbst will ich lernen, will ich Schüler sein, will ich mich kennen lernen, das Geheimnis Siddhartha." - Kapitel "Erwachen"

Bloß dann beginnt das seitenlange interne Ringen Siddhartas mit den Pros und Kontras der jeweiligen Lebensstile (spirituell vs. weltlich), dass unserer Meinung kürzer ausfallen hätte können. Nach wenigen Absätzen hat man das Prinzip bereits kapiert. Selbstverständlich kann dies als Stilmittel angesehen werden, langweilen tut es trotzdem.


Abzüge gibt es auch für den liturgischen Schreibstil mit seinen hölzernen Dialogen. Wer auf packende Prosa hofft, wird enttäuscht. Wer so eine Sprache passend für allegorische Romane findet, hat damit mehr Freude. Zu dieser kargen Sprache gesellt sich eine weitestgehend fehlende Bescshreibung der Umgebunng und der Sinneseindrücke Siddhartas. Hesse hält sich nicht mit der Beschreibung von Orten auf, sondern stellt den im Wesentlichen emotionalen Diskurs über das Leben der Menschen, die sich darin bewegen, in den Vordergrund. Man fühlt sich beim Lesen kaum nach Indien versetzt, was wir als Reiseenthusiasten etwas schade finden. Störend, aber auch klassisch für religiöse Texte, ist, dass die Welt scheinbar nur aus einer Handvoll Leuten besteht, die sich in Abständen von mehreren Jahren ständig zufällig in einem Urwald oder an einem abgelegenen Fluss über den Weg laufen - immer dann, wenn es für die Fortführung des Plots gerade gelegen kommt.


Widersprüchlich ist anzusehen, dass Siddhartha es zwar zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat (zumindest zu Beginn und zum Ende seine Lebens), sein Ego zu vernichten, um in Erleuchtung aufzugehen, aber sich beständig in narzisstischer Manier nur mit sich selbst auseinandersetzt, in seinen Mönchsjahren ein gesellschaftlich parasitäres Leben führt und liebgewonnene Menschen verlässt, wann immer ihm danach ist. Jetzt ergibt sich auch, wieso der Roman in der Generation der 68er so beliebt war. Selbstverständlich ist eine aus der Egoperspektive geschriebene Geschichte ohne selbstreferenziellen inneren Monolog kaum realisierbar, dennoch bleibt die Person Siddharta als zutiefst selbstgefälliger Unsympath, der nur an sich denkt, zurück.


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