Wie Man Ein Buch Liest - Mortimer J. Adler, Charles van Doren [Buchbesprechung]
- versus
- 19. Apr. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Juli 2024
Große Dinge beginnen im Kleinen, Rom wurde nicht an einem Tag gebaut und jedes Haus braucht ein stabiles Fundament. Alle diese Sätze hat man in seinem Leben bereits irgendwann einmal (stöhnend) zur Kenntnis genommen. Aber vielleicht sollten wir uns doch nochmal damit auseinandersetzen, wie wir unser altvertrautes Medium "Buch" vielleicht noch bewusster konsumieren können. Dabei wollen uns Adler und van Doren mit ihrem Klassiker Wie man ein Buch liest behilflich sein.
von versus
Der ein oder andere fühlt sich hier möglicherweise auf die Füße getreten. Natürlich wissen wir, wie man ein Buch liest. Schließlich hast du den Text auch bis hierhin gelesen und ein Buch ist nun einmal nichts weiter, als sehr viele solcher Sätze aneinandergereiht - Möchte man meinen. Aber ist dem wirklich so?
Doch beginnen wir dort, wo unsere Lesekarriere begonnen hat: In der Schule. Wie viele von uns instinktiv kritische Gedanken gegenüber dieser Institution bekommen haben, so beginnen auch Adler und van Doren mit einer Kritik. So stellen sie fest, dass Schülern bis zum sechsten Schuljahr nur das elementare Lesen beigebracht wird und es von da an auf dieser Stufe verweilt, sofern man nicht aus Eigeninitiative sein Leseniveau anhebt.

Aber wie soll man sein Niveau anheben? Entweder man versteht die gedruckten Worte oder eben nicht. Vielleicht kann man seine Lesegeschwindigkeit erhöhen? Ja und nein - Adler und van Doren plädieren für "aktives Lesen".
Viele von uns haben ein falsches Bild vom Lesen. Viele sehen es als einen passiven Zeitvertreib an. Nichts könnte jedoch ferner von der Wahrheit liegen. Passiv wäre es, wenn man die Ideen und Welten eines Buches osmotisch wie ein Schwamm aufsaugen würde, nur weil man sich gerade im selben Raum wie dieses Buch befindet.
Adler und van Doren bringen das passende (und für US-Amerikaner wohl immer naheliegendste) Beispiel eines Baseballspiels hervor. So ist "das Fangen des Balls ebenso eine Tätigkeit wie das Schlagen" (S. 19). In dieser Analogie ist der Werfer der Buchautor und der Fänger wir, die Leser.
Wir werden viele Bücher lesen, die nicht besonders eingängig sind. Was sich zeitweise wie eine Übung in Selbstdisziplin und Ausdauervermögen anfühlen kann, kann zwar auch als solches angesehen werden, ist aber vor allem ein immens aktiver Akt, sofern man versucht am Ball (am Inhalt) zu bleiben. Denn so führen Adler und van Doren ihre Analogie in bestechender Logik fort:
"Die Kunst, einen Ball zu fangen, ist die Kunst, einen auf egal welche Weise geworfenen Ball zu fangen, mag er besonders schnell sein oder eine Kurve beschreiben. Ähnlich geht es beim Lesen darum, jede Art von Kommunikation so gut wie möglich aufzunehmen." (S.19)
Und so steht der zitierbarste Satz des ganzen Buches bereits auf Seite 19. Aber keine Sorge, da es sich um ein Sachbuch handelt, steckt auch der Rest des Buches voller interessanter Perspektiven, Denkanstöße und Methoden, an die man selbst vielleicht noch nie gedacht hat und von denen man lernen kann.
Die meisten von uns können gehen, aber können wir mit einem olympischen Geher mithalten? Die meisten von uns können die Luft anhalten, aber können wir uns mit einem Perlentaucher messen? Man kann die primitivsten und für scheinbar alle Menschen von Kindesbeinen an beherrschbaren Fähigkeiten perfektionieren - mit virtuell unbegrenztem Spielraum nach oben. So eben auch das Lesen.
Zugegeben, viele Konzepte die Adler und van Doren in ihrem Buch beschreiben sind für uns so selbstverständlich, dass deren von ihnen unternommene pedantische Ausführung dazu, für uns lächerlich und auch ermüdend wirken kann. Wenigstens kann man ihnen nicht vorwerfen, nicht gründlich genug in ihren Definitionen für Begriffe wie "Argument" und "Bedeutung" zu sein.
Außerdem beziehen sich ihre Ausführungen zu zwei Dritteln auf Fachliteratur und Sachbücher, was für uns nicht von Vorrang ist. Adler und van Doren zielen mit ihren Lesetipps gefühlt mehr auf wissenschaftliche Arbeiten ab und man hat teilweise das Gefühl, sie hatten beim Schreiben vor allem Studenten vor Augen, die gerade eine Abhandlung zu einem geisteswissenschaftlichen Thema verfassen müssen. Das liegt vor allem daran, dass viele ihrer Tipps viel zu zeitraubend für Leser wie uns sind, da wir uns nicht Vollzeit der Analyse und dem Sezieren von Literatur widmen können (wir wollen aber natürlich auch niemanden davon abhalten).
Für unsere Zwecke können wir also auch ein paar Kapitel dieses Buches überspringen

und das Buch lediglich querlesen, was übrigens ganz im Sinne Adlers und van Dorens ist und sie im Buch detailliert beschreiben, wie man hierfür vorzugehen hat. Genau dieses Kapitel (Kapitel 4) sollte man also nach Möglichkeit nicht überspringen.
Es bietet sich das flüchtige querlesen bestens an, um festzustellen, ob einem das Buch zusagt, oder ob man seine Zeit lieber etwas anderem widmet (siehe Kapitel "Prüfendes Lesen II: Flüchtiges Lesen").
Hervorheben wollen wir auch den praktischen Nutzen des Kapitels "Teil III: Gemischte Lesestoffe". Hier geben Adler und van Doren Vorschläge zum Konsum unterschiedlicher Literaturgattungen. So kann man vor jedem Neubeginn einer literarischen Unternehmung "seinen Adler" zu Rate ziehen, um sich mental bestens darauf vorbereiten zu können und den meisten Nutzen aus dem Gelesenen ziehen zu können.
Fazit
Dieses Buch lebt auf der Metaebene und nicht jedes Kapitel ist für jeden Leser und dessen individuellen Interessen relevant. Deshalb empfehlen wir es hauptsächlich denjenigen, denen es wirklich schon immer ein besonderes Anliegen war, zu lernen, wie man zwischen den Zeilen liest.
Desweiten kann man sich mit dem Buch auch in die U-Bahn setzen, es um 180 Grad drehen und mit einem fragenden Gesichtsausdruck durch die Seiten blättern und so ein paar Lacher ernten. Dies sei jedem selbst überlassen.
Wir haben uns für die deutschsprachige Ausgabe in der fünften und damit neuesten Auflage vom August 2018 entschieden.
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